Julian Palacz

Lukas Jost Gross

END TELL – Täterprofil

Ein Keylogger (dt. „Tasten-Rekorder“) ist eine Hard- oder Software, die dazu verwendet wird, die Eingaben des Benutzers an einem Computer mitzuprotokollieren und dadurch zu überwachen oder zu rekonstruieren. Keylogger werden beispielsweise von Hackern verwendet, um an vertrauliche Daten – etwa Kennworte oder PIN – zu gelangen.
(Wikipedia)

Palacz installierte auf seinem Privatrechner während der Zeitdauer Juni 2008 bis Februar 2010 einen sogenannten Software-Keylogger, welcher als zwischen Computertastatur und Betriebsystem geschaltetes Element fungierte und so sämtliche Tastaturbewegungen während dieses Zeitfensters ausnahmslos registrierte. Der Systemoutput des Keyloggers über diese Zeitdauer ist END TELL. END TELL ist eine empirische Erfassung der ersten Stufe der Schnittstelle Mensch-Computer, ist der "Neuroprint" der Paarbeziehung zwischen Computer und Mensch.

END TELL ist Täterprofil und versteht sich als künstlerische Ausdrucksform digitaler Literatur, da es sich einer Software als Existenzgrundlage bedient. Es werden nicht nur spezifische, in diesem konkreten Fall verborgene Eigenschaften des Systems Computer reflektiert und in ästhetischer Absicht bedient, sondern der technisch prozessuale, hinter den Dingen stehende Background und dessen Kodes bzw. Sprache in den rezeptionellen Brennpunkt verschoben. Die vormalig unästhetische Kodierung des Systems wird durch die Betrachtung und den Kontext zur Kunst, indem sie so zur Literatur erhoben wird.

Durch den Effekt des Zurückwerfens der Situation der Arbeit entsteht ein direktes zur Schau stellen urprivater Dinge. Die Privatheit wird direkt nach aussen gestülpt, es entsteht eine Story in der Story. Besonders drastisch kommt dieser Schlüssellocheffekt in jener Sequenz von Palacz's Text zur Geltung, in welcher ein Kommilitone ein paar Tage bei ihm wohnt, und dann natürlich – ohne zu wissen, dass ein Keylogger installiert ist – auch seinen Computer benutzt. Nach der Fiktion, welche den Leser zum Voyeur macht, macht END TELL den Leser zum wahren Hypervoyeur.

Diese Passagen versetzen den Leser in die Rolle eines Voyeurs zweiter Beobachterstufe, wo er sonst, bei normaler Fiktion und normalem Text immer nur Voyeur war. Denn nun ist es nicht mehr der eingeweihte Palacz, welcher ja um den Keylogger weiss, und daher vielleicht auch seine Handlungen zügelt, sondern eine dem Zusammenhang enthobene Person

Um das Bedeutete zu verstehen, muss man mit dessen Kodierung vertraut sein.

END TELL ist jedoch, um überhaupt erst verständlich zu werden, nicht auf der semantischen Ebene kodiert, so wie es von bisherigen Texten – man denke nur an wissenschaftliche, medizinische und aber auch Texte in Romanform – sondern zusätzlich auf einer semiotischen Ebene, einer Ebene der Zeichen, welche die Navigation im Computersystem erst nachvollziehbar machen.

Hier wird also direkt Kodierung binärer Lebenspraxis als neues Alphabet der Zeichenkombinationen in die Literatur als Arbeit mit dem Wort eingeführt und mit dieser vermischt. Der Text folgt nicht mehr einem herkömmlichen narrativen Erzählstrang, sondern der Praxis der Arbeit von Palacz an seinem Computer. Nichtsdestotrotz entsteht gerade dadurch eine neue Form der Narrativität, denn plötzlich öffnen sich Ebenen von Text und Erzählung, welche sonst Hintergründig und eigentlich, ausser für das Computersystem selbst, welches damit arbeitet, unsichtbar bleiben. Es eröffnen sich, zum eigentlichen Inhalt hinzu zeitliche, ästhetische und unterbewusste Ebenen, in einer eigentümlich konkreten Form. Das, was sonst zwischen den Zeilen steht, die Bewegung, der Fehler und der Gedanke, das Nichtgeschriebene. So öffnen gerade die gelöschten Passagen einen Strom in das Unterbewusste. Wie interessant wären diese "Nichtpassagen" Sigmund Freuds? Der Text selbst spiegelt also physische Bewegung und neben inhaltlichen Neuerungen in der Erzählung auch visuelle und konkrete Poesie ja sogar regressive, kreilschriftartige Patterns, Tapetenmustern gleich, welche direkt zu einer Mustererkennung dieses Täterprofils, zu einem Selbstportrait dieses Täters führen und sich direkt mit dem les- und verstehbaren Inhalt verweben. END TELL thematisiert in absoluter Rohform eine sich im Entstehen befindende, neue Phänomenologie nicht nur auf den Begriff des Autors, sondern auch auf den Leser, die Rezeption, Literatur und Text als diesen.

END TELL ist Schema, Methode und Programm und liesse sich als Werkzeug angewendet – genau so wie Hacker den Keylogger anwenden, um Nutzerdaten auszuspionieren – dazu verwenden, Muster und Ströme des Unbewussten anderer Autoren auszuspionieren und unmittelbar sichtbar werden zu lassen. Man denke nur daran, dass es bereits jetzt auf den Festplatten von Systemadministratoren und Hackern, ja überhaupt auf allen Computern ganze Bibliotheken von Keylogger-Romanen gibt.

Zuguterletzt ist END TELL neben all diesem aber eine LOVE STORY, denn Palacz lernt seine jetzige Freundin während der Romanzeit kennen. All das wird nicht nur über Emails und tagebuchartigen Gedanken erzählt, sondern auch von ihr selbst, wenn sie beispielsweise plötzlich bei Palacz in der Wohnung und an dessen Computer, am Roman mitzuschreiben beginnt!